KÜNSTLERFILME AUS DER SPÄTPHASE DER DDR
Künstler verschiedener Genres instrumentalisierten das Medium Schmalfilm für ihre multimedialen Aktivitäten. Einen repräsentativer Querschnitt aus den verschiedenen inhaltlichen wie formalen Spielarten – Experimentelles, Surreales, Komisches - stellten wir im Kurzfilmprogramm "Gegenbilder" vor. Der Film "Max und Moritz Reloaded" gab außerdem einen Eindruck in das aktuelle Filmschaffen von Thomas Frydetzki, der der Künstlerfilmszene ehemaligen DDR angehörte.
Gegenbilder
Dass es in der Spätphase der DDR neben den offiziellen Bilderfabriken von Babelsberg (DEFA) und Adlershof (Fernsehen) auch eine lebendige filmische Subkultur gegeben hat, die sich bewusst von der Staatsdoktrin distanzierte, ist noch immer weithin unbekannt. Es waren zunächst Maler, die Ende der 70er Jahre das brachliegende Medium des Super-8-Films für sich entdeckten und das Dogma des klassischen Tafelbildes aufbrachen. Multimediale Aktivitäten von A.R. Penck in Dresden oder von Lutz Dammbeck in Leipzig lösten eine regelrechte Welle von Malerfilmen aus. Später, als sich der Schwerpunkt der subkulturellen Szene von Sachsen aus nach Ost-Berlin verlagerte, änderte sich auch die Filmsprache, wurde erzählerischer. Heute verblüfft vor allem der weitgehend apolitische Gestus der Filme. Konkrete Angriffe auf Umweltprobleme oder die Militarisierung des Alltags wird man z. B. vergeblich suchen. Vielmehr scheint es, als hätte eine regelrechte Verweigerung gegenüber der DDR-Banalität vorgeherrscht. Womit man täglich unfreiwillig konfrontiert war, sollte nicht auch noch Eingang in die Gefilde der Kunst finden. Dennoch fungieren die vorliegenden Filme, vielleicht sogar unfreiwillig, als wertvolle Zeitkapseln von hohem dokumentarischen Wert.
Gezeigt wurden die Filme DOUBLAGE FANTASTIQUE (Yana Milev/Via Lewandowsky, Dresden, 1988, 17 min), ENGELCHEN (Thomas Frydetzki, Leipzig, 1985, 9 min), ESCAPLANTE ODER SOMMER IN ULENHORT (Andreas Dress, Dresden, 1983, 6 min), GUTEN TAG BERLIN (Thomas Werner, Ost-Berlin, 1987, 12 min), HERZHORNHAUTSCHREIN - Werbefassung (Via Lewandowsky, Dresden, 1988, 8 min), KINDER DER NEUSTADT (Stefan Schilling, Dresden 1988, 3 min), METAMORPHOSEN I (Lutz Dammbeck, Leipzig, 1978, 7 min), SCHWARZER PETER (Holger Vollbrecht, Ost-Berlin, 1987, 8 min), UNTER WEISSEN TÜCHERN (Cornelia Schleime, Ost-Berlin, 1983, 9 min).
Sonntag, 16.10.2005, 15.30 Uhr, Blauer Saal
Max und Moritz Reloaded
Thomas Frydetzki, Berlin, 2005, 87 min.
Auf einem abgelegenen, notdürftig umgerüsteten Kasernengelände des ansonsten entvölkerten deutschen Ostens betreiben die einstigen NVA-Offiziere Axel und Henry ihr Resozialisierungslager für schwererziehbare Jugendliche. Für einen Tagessatz von 150 € werden ihnen aus dem Westen Fälle überstellt, die dort niemand mehr haben will. An den Hamburger Rabauken Max und Moritz aber beißen sie sich die Zähne aus; zunächst jedenfalls. Anarchistische Widervereinigungs-Komödie der etwas anderen Art: von Beginn an setzt Regisseur Thomas Frydetzki Zeichen der Verweigerung, verweist damit auf die strikt unkorrekte Fahrtrichtung der kommenden 90 Minuten. Dank der sprunghaften, gezielt überzeichneten Erzählweise eines Comics und der Spiellaune des lustvoll chargierenden Ensembles wird der Film zum politisch völlig inkorrekten Vergnügen. "Sehenswert!" (TIP)
Samstag, 15.10.2005, 19.30 Uhr, Theatersaal
HINTERGRÜNDE ZU DIESEM PROGRAMM
Filmische Subversion in der DDR 1976-1989
Ein Gespräch mit Claus Löser
Claus Löser hat in Berlin die Sammlung "ex. oriente lux" aufgebaut, die zahlreiche, im künstlerischen Umfeld entstandene Werke aus der DDR enthält. Er traf gemeinsam mit Nadine Köcher die Auswahl für unser Künstlerfilmprogramm.
CLAUS LÖSER, SIE HABEN IN BERLIN DIE SAMMLUNG "EX. ORIENTE LUX" AUFGEBAUT. WIE KAM ES DAZU?
Mitte der 80er Jahre hatte ich in Karl-Marx-Stadt (jetzt Chemnitz) selbst einige Filme auf Super8 und 16mm gedreht und kannte die wichtigsten Vertreter der alternativen Kunst- und Filmszene. Zum Abschluss meines Filmstudiums in Potsdam-Babelsberg schrieb ich dann 1995 mein Diplom über "unabhängig produzierte Schmalfilme in der Spätphase der DDR". Im Rahmen der Recherchen für unser Buch "Gegenbilder" reaktivierten Karin Fritzsche und ich ein Jahr später die alten Kontakte, sammelten quasi die Filme ein. Mit einer Anschub-finanzierung der Stiftung Kulturfonds konnten wir die teilweise sehr schlecht erhaltenen Super-8-Unikate auf sendefähiges Material überspielen – das war die Geburtsstunde von "ex. oriente.lux". Im Archiv befinden sich Malerfilme, Essays, Kurzspielfilme, Fragmente. Wichtigstes Indiz für eine Aufnahme ins Archiv besteht dabei in einem bewusst künstlerischen Ansatz, der jenseits staatlich vorgesehener Rahmenbedingungen artikuliert wurde. Genau aus diesem Grund liegt eine scharfe Abgrenzung gegenüber dem offiziellen DDR-Amateurfilm vor.
GIBT ES EIN VERBINDENDES ELEMENT ODER EINE ART KOLLEKTIVE ENTWICKLUNG, DIE MAN IN DIESER FILMISCHEN SUBKULTUR AUSMACHEN KANN?
Zwischen 1976 und 1989 lassen sich einige Tendenzen des unabhängigen Schmalfilms in der DDR nachzeichnen: so verlagerte sich die Szene von ihren Anfängen im sächsischen Raum ab Mitte der 80er Jahre mehr und mehr nach Ost-Berlin. Damit wandelte sich die Filmsprache auch in Richtung des Narrativen. Strukturelle Untersuchungen traten etwas in den Hintergrund, dafür gab es nun zunehmend Versuche, erzählende Momente in die Filme einzubauen. Weitere Brüche ergaben sich durch die Übersiedlung wichtiger Künstler von Ost nach West.