"Seit 31. Mai 2009 überweise ich täglich 1 Cent an das Bundesministerium der Finanzen und wirke dem wachsenden Schuldenberg in homöopathischen Dosen entgegen.
GELD FINDET IMMER EINEN WEG OHNE WIDERSTAND. In das Feld "Verwendungszweck" schreibe ich jeweils 108 Zeichen aus "DAS KAPITAL - Kritik der politischen Ökonomie" von Karl Marx. So wird nach und nach der gesamte Text des Buches per Online-Banking auf das zentrale Konto des Staates übertragen. Die Übermittlung der ca. 1696500 Zeichen dauert ungefähr 43 Jahre. Die benötigte Transfersumme in Höhe von 15709 Cents wird im Staatshaushalt als ökonomischer Kapitalzuwachs verbucht. Die Wertsteigerung der Kapitalanlage durch Zins und Zinseszins ist hierbei noch ebenso wenig berücksichtigt wie meine darin investierte Arbeitskraft und Lebenszeit oder die Wertschöpfung durch kulturelles und symbolisches Kapital.
DAS KAPITAL, das sich unwiderruflich in Konten und Archive einschreibt, ist eine Schenkung an das ganze Volk, eingestellt in den Staatshaushalt der BRD, verwaltet durch die aktuell gewählten Repräsentanten, sicher verwahrt bei der Bundesbank. Gelänge es, die Staatsverschuldung in Höhe von 1.746.599.197.210 EUR (Stand vom 31. Mai 2009) einzufrieren, wäre das Geschenk aufgrund der exponentialen Effekte von Zins und Zinseszins in der Lage, diesen Betrag innerhalb der nächsten 300 Jahren zu tilgen. Jede der etwa 15.709 Überweisungen wird per Screenshot dokumentiert, einmalig auf Urkundenpapier ausgedruckt, signiert und im Verlaufe des Projektes stellvertretend an einzelne Bürger/innen verschenkt. Parallel dazu streiche ich in "Überzeichnungen" auf Transparentpapier Zeichen um Zeichen aus und erzeuge analog zum Buch eine unlesbare Notation des KAPITALS, bestehend aus Zähl- und Zahlzeichen. Am Ende des Projektes wird in mehrfacher Hinsicht ein kumulativer Kapital- und Wertezuwachs zu verzeichnen sein, der sich nicht mehr allein in Zahlen und Zeichen ausdrücken lässt.
MACHT GESCHENKE: DAS KAPITAL begegnet der herrschenden politischen Ökonomie sowie sinnentleertem, menschenunwürdigem Bürokratismus mit der Geste des Schenkens und stellt die Sinnfrage. Das System sieht sich selbst im Spiegel. Die Mikrospenden bringen 1x täglich die Bilanz des Staates aus dem Gleichgewicht – ungefähr einen Atemzug lang. Sie dienen als Impulsgeber für eine Wertedebatte, die kontinuierliche Reflexionen und Nachhall erzeugt sowie nachhaltiges Voraus- und Nachdenken provoziert."
Film zum Projekt
Weitere Informationen:
Christin Lahr
1965 geboren in München. Lebt und arbeitet als Künstlerin, Kuratorin und Professorin für Medienkunst in Berlin und Leipzig. Seit Abschluss des Studiums an der Universität der Künste Berlin zahlreiche Stipendien, Preise und Ausstellungen in Inn- und Ausland sowie kuratorische Tätigkeiten, überwiegend im Rahmen des RealismusStudios der Neuen Gesellschaft für Bildenden Kunst, Berlin. Seit 1990 Lehrtätigkeiten an unterschiedlichen Hochschulen, u.a. als künstlerische Mitarbeiterin an der Kunsthochschule für Medien Köln (Bereich Multimedia/Performance). Seit 2001 Professorin für Medienkunst im Studiengang Medienkunst, Hochschule für Grafik und Buchkunst, Leipzig.